Lithium-Mikrodosen – Hype oder Wissenschaft?

Lithium ist seit Jahrzehnten ein bewährtes Medikament in der Psychiatrie. In jüngerer Zeit werden jedoch deutlich niedrigere Dosen — sogenannte Mikrodosen (1–5 mg/Tag) — diskutiert: Könnten solche Mengen das Gehirn schützen, Alzheimer vorbeugen oder die Stimmung verbessern? Ein Blick auf die aktuelle Evidenz zeigt ein spannendes, aber unvollständiges Bild.

Lithium-Mikrodosen

 

Erste klinische Signale

Eine kleine, viel beachtete Studie aus Brasilien randomisierte Menschen mit Alzheimer und gab der Interventionsgruppe über 15 Monate täglich nur 300 µg Lithium. Während die Placebo-Gruppe kognitiv weiter abrutschte, blieb die Lithium-Gruppe weitgehend stabil (Nunes et al., 2013). Das Ergebnis ist ein erstes Signal — doch die Studie war klein und eine unabhängige Bestätigung steht bis heute aus.

Epidemiologische Hinweise

Aus größeren Bevölkerungsanalysen kommen weitere Indizien: Eine dänische Registeranalyse fand, dass Regionen mit höheren Lithiumkonzentrationen im Trinkwasser mit einer leicht geringeren Demenzrate assoziiert waren (Kessing et al., 2017). Ähnliche epidemiologische Auswertungen berichten teilweise ebenfalls niedrigere Suizidraten in Regionen mit mehr Lithium im Trinkwasser; andere Studien finden dagegen keinen Zusammenhang oder liefern widersprüchliche Ergebnisse (Araya et al., 2022).

Wichtig: Epidemiologische Zusammenhänge erlauben keine kausalen Schlussfolgerungen — viele Störfaktoren können das Bild verzerren.

Neue Grundlagenforschung

Mechanistisch gibt es ebenfalls Hinweise: Eine Arbeit in Nature (2025) zeigte, dass die Verfügbarkeit von Lithium im Gehirn bei Menschen mit leichter kognitiver Beeinträchtigung beziehungsweise Alzheimer verändert ist (Aron et al., 2025). Das stärkt die biologischen Plausibilitäten, beantwortet aber nicht die Frage, ob eine Supplementierung mit 1–5 mg täglich protektiv wirkt.

Woher kommt der Hype um 1–5 mg?

Die Angabe von 1–5 mg pro Tag ist weniger Ergebnis kontrollierter Dosis-Wirkungs-Studien als vielmehr eine Kombination aus historischen Schätzungen (orthomolekulare Literatur) und dem Wunsch nach einem Bereich, der als „sicher“ unterhalb therapeutischer Dosen gilt. Offizielle tägliche Zufuhrempfehlungen existieren nicht.

Pros & Contras — eine nüchterne Abwägung

Argumente, die für weitere Forschung sprechen

  • Mechanistische Plausibilität: Lithium moduliert Signalwege wie GSK-3, wirkt neuroprotektiv und antiinflammatorisch — Effekte, die bei niedrigen Dosen relevant sein könnten.
  • Erste klinische Signale (300 µg/Tag) und epidemiologische Assoziationen liefern Hypothesen, die sich testen lassen.

Gegenargumente und offene Fragen

  • Mangel an robusten, großen randomisierten klinischen Studien speziell für 1–5 mg/Tag mit patientenrelevanten Endpunkten (z. B. Konversion zu Demenz).
  • Epidemiologische Befunde sind heterogen und nicht direkt übertragbar auf die Einnahme von Supplementen.
  • Langzeitdaten zu Sicherheit und möglichen Interaktionen bei chronischer Einnahme von 1–5 mg fehlen weitgehend.

Was bedeutet das für die Praxis?

Das Bild ist derzeit klar: Lithium-Mikrodosen sind ein interessantes Forschungsfeld, aber noch kein evidenzbasiertes Präventionsinstrument. Aus psychotherapeutischer Perspektive lässt sich keine Empfehlung für eine allgemeine Einnahme von 1–5 mg Lithium pro Tag zur Alzheimer-Prävention oder zur Stimmungsaufhellung geben.

Wichtig: Bei schwerer Depression oder aktiver Suizidalität gehört Lithium — falls indiziert — in ärztliche Hände und wird in therapeutischen Dosen unter Serum- und Funktionskontrollen eingesetzt. Mikrodosen sind dafür nicht geeignet.

Quellen (Auswahl)

  1. Nunes MA, Forlenza OV, Gattaz WF. „Microdose lithium treatment in Alzheimer’s disease: a randomized, double-blind, placebo-controlled trial“ Current Alzheimer Research. 2013.
  2. Kessing LV, et al. „Lithium in drinking water and risk of dementia: a nationwide study“ JAMA Psychiatry. 2017.
  3. Araya P, et al. „Lithium in drinking water and suicide: a systematic review and meta-analysis“ Frontiers in Public Health. 2022.
  4. Aron L, et al. „Altered brain lithium availability in mild cognitive impairment and Alzheimer’s disease“ Nature. 2025.

Dieser Text bietet eine sachliche Zusammenfassung der Evidenzlage und stellt keine individuelle medizinische oder therapeutische Empfehlung dar.