„Nicht gut genug“? – Wie wir mit diesem Gefühl umgehen können

…und welche Möglichkeiten die körperorientierte Psychotherapie bietet

Kaum ein Glaubenssatz taucht in Therapien so häufig auf wie dieser:

„Ich bin nicht gut genug.“

Ob im Beruf, in Beziehungen oder im Blick auf sich selbst – viele Menschen kennen diesen stillen Begleiter, der ihnen das Gefühl vermittelt, nicht wirklich zu genügen. Die Folgen können sehr unterschiedlich sein: Manche entwickeln eine Depression oder ziehen sich zurück. Andere geraten in dauerhafte Anspannung, Angst und Überanpassung. Wieder andere bauen eine glänzende Fassade auf, hinter der sie ihre Verletzlichkeit verbergen – manchmal mit narzisstischen Zügen. Und es gibt Menschen, die trotz dieser inneren Stimme relativ stabil und widerstandsfähig bleiben.

Doch warum reagieren wir so verschieden auf ein so ähnliches Grundgefühl? Und was kann die körperorientierte Psychotherapie hier leisten?

Unterschiedliche Wege aus demselben Gefühl

Die Erfahrung „nicht genug zu sein“ entsteht oft in der Kindheit. Wenn Zuwendung oder Anerkennung an Bedingungen geknüpft sind – etwa an Leistung, Anpassung oder besondere Rolle – verinnerlicht das Kind den Gedanken: „So wie ich bin, reiche ich nicht.“

Abhängig von Temperament, Bindungserfahrungen und späteren Ressourcen entwickeln sich daraus verschiedene Muster:

Depression: Rückzug, Selbstabwertung, der Glaube, nichts wert zu sein.

Angststörung: ständige Sorge vor Zurückweisung, innere Anspannung, übermäßige Anpassung.

Narzisstische Kompensation: Aufbau einer Fassade von Stärke, Perfektion oder Überlegenheit, um die innere Unsicherheit zu überdecken.

Resilienz: Manche Menschen bleiben trotz dieser Botschaft vergleichsweise stabil – weil sie korrigierende Beziehungserfahrungen machen konnten oder gelernt haben, mit den inneren Stimmen flexibler umzugehen.

Warum der Körper eine Schlüsselrolle spielt

Der Glaubenssatz „nicht gut genug zu sein“ ist nicht nur ein Gedanke. Es ist ein körperlich verankertes Muster. Schon Kinder spüren Ablehnung oder Bedingtheit nicht nur kognitiv, sondern mit dem ganzen Organismus: Anspannung, Einengung des Brustkorbs, Bauchschmerzen, zurückgehaltene Tränen, ein gesenkter Blick.

In der Erwachsenenwelt tauchen dieselben Muster wieder auf:

• Schulter- und Nackenverspannungen, wenn wir uns klein fühlen.

• Ein Druck im Brustkorb, wenn wir meinen, uns beweisen zu müssen.

• Ein flaches Atmen, wenn wir Angst haben, entdeckt oder kritisiert zu werden.

Das bedeutet: Wenn wir ausschließlich kognitiv an der Überzeugung „Ich bin nicht genug“ arbeiten, bleibt ein wesentlicher Teil unberührt – nämlich der Körper, in dem diese Erfahrung gespeichert ist.

Möglichkeiten der körperorientierten Arbeit

In der körperorientierten Psychotherapie nutzen wir gezielt den Zugang über den Körper, um alte Muster zu lösen und neue Erfahrungen zu ermöglichen. Mögliche Vorgehensweisen sind:

1. Körperwahrnehmung und Achtsamkeit

Klienten lernen, die feinen Signale ihres Körpers wahrzunehmen: Wo ziehe ich mich zusammen? Wann halte ich den Atem an? Das schafft Bewusstsein für automatische Reaktionen.

2. Arbeit mit Atem und Haltung

Atemübungen, sanfte Bewegungen oder bewusste Veränderungen der Körperhaltung können den Unterschied unmittelbar spürbar machen: Wie fühlt es sich an, wenn ich mich innerlich klein mache – und wie, wenn ich mich aufrichte?

3. Arbeiten mit dem „eingefrorenen Ausdruck“

Oft sind im Körper Gesten gespeichert, die wir als Kinder unterdrücken mussten: Weinen, Wut zeigen, nach Nähe greifen. Indem diese Bewegungen im sicheren therapeutischen Raum angedeutet oder vollendet werden dürfen, lösen sich alte Blockaden.

4. Ressourcen im Körper verankern

Positive Erfahrungen – etwa Wärme, Sicherheit, Selbstannahme – werden nicht nur besprochen, sondern körperlich verankert. So entsteht eine neue, stabilere Grundlage für den Selbstwert.

Das Ziel: Ein neues Spüren von „Ich bin genug“

Die Arbeit mit dem Körper ermöglicht eine unmittelbare Erfahrung: Das „Nicht-genug-Gefühl“ ist nicht die Wahrheit, sondern ein altes Muster, das wir im Körper tragen. Wenn Menschen erleben, dass sie auch mit ihren Schwächen, Unsicherheiten und Bedürfnissen im Kontakt bleiben dürfen, geschieht etwas Wesentliches: Der Körper entspannt, die Atmung vertieft sich, und die innere Stimme „Du bist nicht genug“ verliert an Macht.

Psychotherapie wird so zu einer Reise zurück zum eigenen Erleben – und hin zu einer Haltung, in der man sagen kann:

„Ich bin nicht perfekt. Aber ich bin genug.“